Exklusivinterview mit dem deutschen Schwammstadt-Experten Gerhard Hauber

Exklusivinterview Gerhard Hauber | UmeltJournal (c) Ramboll Studio Dreiseitl

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„Nur ein kleiner Teil fließt noch ab“

„Wenn man Verdunst- und Versickerungsflächen in städtebauliche Gesamtlösungen integriert, kann man die Lebensbedingungen einer Stadt verbessern.“ Gerhard Hauber (c) Ramboll Studio Dreiseitl

UJ: „Schwammstadt“, was genau ist das?

Hauber: Das bis dato vorherrschende Konzept im Regenwassermanagement einer Stadt oder Region lautete immer: „Wie bekommen wir anfallende Regenmengen so schnell wie möglich weg.“ Man speist diese in unterirdische Leitungsnetze und lässt sie kontrolliert und in teils großen Mengen abfließen. Das Konzept einer Schwammstadt sieht nun vor, dass diese Wassermengen nicht zwangsweise abfließen müssen, sondern vor Ort, also da wo sie anfallen, gehandhabt und bildhaft gesprochen an der Oberfläche „aufgesaugt“ werden, wie bei einem Schwamm – durch Retention, Versickerung und Verdunstung.
Wodurch die unterirdischen Kanalnetze bei Extremereignissen entlastet werden …
Richtig. Die zum Teil über Jahrzehnte geschaffenen Kanalinfrastrukturen in unseren Großstädten sind meist nur auf zwei- bis fünfjährige Starkregen dimensioniert. Bei der derzeit steigenden Zahl an Rekordregenereignissen und Rekordhochwässern gelangen diese Netze aber immer häufiger an ihrer Kapazitätsgrenzen. Da wir dieser speziellen Auswirkung des Klimawandels vor allem in Ballungsräumen aktiv begegnen müssen, steigt die Notwendigkeit für neue Maßnahmen.
Was gewinnt eine Stadt
konkret, die zur

„Sponge City“ wird?

In der Schaffung oberirdischer Ausgleichsflächen liegt sicher eine kostengünstigere Variante als ganze Kanalnetze neu zu dimensionieren. Wenn man sich den natürlichen Wasserhaushalt einer Region ansieht, besteht der ja auch zumeist aus Verdunstung, Rückhalt, Zwischenspeicherung und Versickerung. Nur ein kleiner Teil fließt dann noch ab – und meist auch erst dann, wenn die natürlichen Speicher voll sind. In den besiedelten Gebieten setzte man bis dato eigentlich nur auf Ableitung. Mit der Folge, dass es gerade dort dann zu vermehrten Schäden kommen kann. Die Großstädte werden aber in Zukunft ihre Wasserinfrastruktursysteme überdenken müssen – auch wenn es da natürlich heute zahlreiche eingefahrene Konzepte und behördliche Planungsabläufe gibt, die man dann aufbrechen muss.
Warum hat man dieses Konzept nicht schon viel früher verfolgt?
(lacht) Das ist die Frage, die man sich heute stellen muss. Bei uns Planern liegt die „Schwammstadt“ jedenfalls schon lange in der Schublade. Nun kommt der Begriff als „Sponge City“ lustiger Weise aus China wieder zu uns zurück. Dort erkennt man immer mehr die Vorteile dieser Denkweise. So hat etwa die chinesische Hafenstadt
Tianjin (südlich von Peking) ein 90 Hektar großes Grundstück, das verbaut werden sollte, gemeinsam mit uns im Sinne einer Schwammlösung geplant. Um dieses Grundstück zu erschließen hätte man eine verbindende Wasserleitung über mehrere Kilometer Länge massiv vergrößern müssen. Durch die „Sponge-Lösungen“ vor Ort jedoch konnte das Gebiet regenwassertechnisch komplett von der Stadt abgekoppelt werden – die Investitionen in Retentions- und Verdunstungsflächen machten dabei nur einen Bruchteil aus.

Gibt es auch Best Practice Beispiele in Europa?

Da ist sicher die Stadt Kopenhagen zu nennen. Dort hatte man in den letzten Jahren mit massiven Überflutungen zu kämpfen und die war Stadtregierung hohem politischen und sozialen Druck ausgesetzt, die Situation zu verbessern. Da man im Untergrundsystem nicht mehr viel dazu bauen konnte, musste man sich neue Herangehensweisen überlegen und beginnt nun nach und nach das Konzept einer Schwammstadt umzusetzen. In einem ersten Schritt wurden Flächen gesucht, die als „Schwämme“ fungieren können, wie Parks, Straßenränder oder Brachen. Später wurden diese gezielt als Retentionsareale installiert. Heute wird bei jedem einzelnen Bauprojekt vorgegeben, wie viel Wasser auf dieser Fläche zurückgehalten werden muss. Die Kosten die insgesamt durch diese Maßnahmen entstanden sind, sind aber vergleichsweise natürlich viel geringer, als eine Neudimensionierung der gesamten Kanalnetze. Neben den geringeren Kosten für Baumaßnahmen gibt es noch zahlreiche weitere Vorteile, an die man auf den ersten Blick gar nicht denkt.

Welche zum Beispiel?

Das Thema Kühlung wird in Großstädten gerade in Hitzephasen immer wichtiger. Wenn man mittel- und langfristige Verdunst- und Versickerungsflächen in städtebauliche Gesamtlösungen integriert, kann man die Umwelt- und Lebensbedingungen einer Stadt sicher verbessern. Auch bei einzelnen Stadtteilen oder Grundstücken und Gebäuden kann so ein Konzept vieles leisten. Derzeit konzipieren wir gerade ein neuartiges Dachsystem für ein Hochhausprojekt in Frankfurt, das als Retentionsareal dient. Bei Schönwetter werden mit dem zurückgehaltenen Wasser die Dachgärten gespeist, bei Regenprognosen wird das gespeicherte Wasser schon vorher abgelassen und die Fläche kann wieder frisches Wasser aufnehmen. So kann man in Versickerungsflächen sogar einen Frischwasseraustausch erzielen.

Welche Technologien benötigt man prinzipiell für die Umsetzung einer Schwammstadt?

Grundsätzlich handelt es sich hier in erster Linie um bautechnologische Maßnahmen. Diese können einfachsten Prinzipien – wie Vertiefungen in Rasenflächen oder breiteren Rinnen bei Straßenzügen – folgen. Aber es gibt in einer Metropole natürlich auch Areale, an denen es sehr eng zugeht, wo wenig Platz vorhanden ist oder Verschmutzungsgefahr besteht. Da werden sicher Technologien, wie Filterschächte, Rigolensysteme (unterirdische Speicher) oder Methoden zur Dachbegrünung oder aktive Verdunstung benötigt. Wenn man dann jedoch eine gesamte Stadt als „Sponge City“ konzeptionieren möchte, ist es sicher sinnvoll auf smarte Technologie zu setzen und mit Hilfe von Meßsystemen und Vorhersagemodellen alle Möglichkeiten der eigenen Wasserinfrastruktur komplett auszuschöpfen und zu kombinieren.

Aus Sicht des Stadtbürgers wird sich aber das Erscheinungsbild seiner urbanen Umgebung jedenfalls ändern …

Definitiv. Aber der Bürger muss dabei auch auf diese neuen Konzepte eingestellt werden. Bisher war eine geflutete Rasenfläche immer ein Zeichen dafür, dass etwas nicht funktioniert hat – ein Ablauf verstopft oder eine Pumpe ausgefallen ist. Nun muss man diese Situationen neu denken und den Sinn beziehungsweise die beziehungsweise die Idee dahinter kommunizieren.

ÜBER DEN AUTOR

Gerhard Hauber

Landschaftsarchitekt Gerhard Hauber | (c) Ramboll Studio Dreiseitl
Gerhard Hauber arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Landschaftsarchitekt. Seit 1998 leitet er auch internationale Projekte, unter anderem in den USA, Großbritannien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Singapur.
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