„Grünes“ Gas?

H2 oder CH4 – Hauptsache Strom! © iStock.com

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H2 oder CH4 – Hauptsache Strom!

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Prof. Dr. Reinhold Christian, Geschäftsführer von Umwelt Management Austria, konnte am 10. Juli 2019 beim Fachdialog zum Thema „grünes Gas? H2 oder CH4 – Hauptsache Strom!“ wieder viele interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie überaus kompetente und engagierte Vortragende begrüßen. Im Publikum waren Vertreter aus der Verwaltung, von NGOs, Sozialpartnern, Verbänden, Universitäten, Schulen und Unternehmen sowie interessierte und fachkundige Bürger.

Der politische Ansatz, großflächig auf Wasserstoff oder auch Methan aus erneuerbarem Strom zu setzen, relativ neu ist. Aber wie genau sehen die Vorhaben aus? Welche Technologien stehen – jetzt oder in näherer Zukunft – zur Verfügung? Mit welcher Wirkungskette? Kann erneuerbarer Strom auch nur annähernd solche Mengen an synthetischem Wasserstoff oder auch Methan liefern, dass langfristig von einem Ersatz des fossilen Erdgases gesprochen werden kann? Oder handelt es sich doch nur um einen Lock-In-Effekt in fossile Technologien? Diese Fragen beantworteten im Folgenden die Vortragenden des Fachdialogs.

Wasserstoff-Initiative und Greening the Gas

Mag. Jürgen Streitner, Abteilungsleiter, Abteilung VI/1, Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT), referierte zum Thema „Wasserstoff-Initiative und Greening the Gas“.
Beim Thema Wasserstoff (H2) sehen wir momentan den dritten Hype, es gibt jedoch gute Gründe warum es diesmal nicht bei einem Hype bleibt, sondern Wasserstoff Schlüssel eines erneuerbaren Energiesystems darstellt. Das zeigen einerseits internationale Entwicklungen als auch das klare Bekenntnis der meisten EU-Staaten bis 2050 Kohlenstoffneutralität erreichen zu wollen. Am Weg zu 100 Prozent erneuerbare Stromversorgung ist Wasserstoff als Speicher nötig (insbesondere saisonale Speicherung), sowie für die Nutzung von Überschussmengen. In einigen Bereichen wie etwa im Schwerverkehr, Flugverkehr aber vor allem in der energieintensiven Industrie ist eine Elektrifizierung nur schwer möglich, daher ist ein Einsatz von H2 notwendig.
Die Wasserstoffinitiative wurde im Jahr 2018 im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft gelauncht.
26 Mitgliedsstaaten hatten sich damals angeschlossen, mit etwas Verspätung nun auch Schweden als 27. Mitgliedsstaat.
Österreich verfügt über eine (Gas-) Infrastruktur, die sowohl für Biomethan als auch Wasserstoff genutzt werden könnte. Wichtig sei, dass wir in einem europäischen Energiebinnenmarkt gemeinsame klare Regelungen benötigen, die derzeit noch fehlen. Dies kann den innereuropäischen und internationalen Handel von Wasserstoff unterstützen. Dafür benötigt es auch eine robuste Wasserstoffkennzeichnung.
Die EU long-term strategy der Europäischen Kommission betrachtet verschiedene Szenarien für eine Energiewende bis 2050. H2 wird eingebettet in einem EU-Energiebinnenmarkt betrachtet und spielt in allen Szenarien eine Rolle. Bei dem CO2-neutralen Szenario wird eine installierte Leistung von Elektrolyseanlagen in der Höhe von mehr als 500.000 MW (500 GW) benötigt. Die Herausforderung wird deutlich im Vergleich zu der derzeit installierten Elektrolyseanlage bei der voestalpine mit einer Kapazität von 6 MW. Allerdings muss erwähnt werden, dass dieses Szenario davon ausgeht, dass Wasserstoff innerhalb der EU erzeugt wird. Mögliche zukünftige Wasserstoffimporte aus Drittstaaten werden in diesem Szenario nicht betrachtet.
Das BMNT arbeitete am Hydrogen Report der IEA mit. Momentan wird versucht mit Likeminded EU-Ländern gemeinsame Positionen zu koordinieren (Penta-Forum – Wasserstoff-Koordination unter Vorsitz Österreichs und der Niederlande), um effektiv die österreichische Position auf EU-Ebene einzubringen. Im Jahr 2020 wird ein Legislativvorschlag der Europäischen Kommission für ein neues Gasmarktdesign insbesondere in Bezug auf Wasserstoff und erneuerbare Gase erwartet. Mit dem „IPCEI“ (International Projects of Common Interest) von der Generaldirektion Wachstum sollen Wasserstoffprojekte entlang der gesamten Wertschöpfungsprojekte initiiert werden. Österreich versucht hier österreichische Projekte zu platzieren.
Im März 2019 gab es eine Kick-Off-Veranstaltung zur H2-Strategie der Bundesregierung. Die Arbeiten dazu sollen bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Eine Konsultation dazu ist vorgesehen. In der Steuerungsgruppe sind BMNT, BMVIT sowie das BMF. Es gibt 4 Arbeitsgruppen u.a. mit Siemens, Verbund, RAG, voest alpine, OMV und Fronius. Die Ergebnisse der Wasserstoff-Strategie sollen in den Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) einfließen und in das Erneuerbare Ausbaugesetz (EAG).
Zu den Themen, die diskutiert werden zählen unter anderem Schaffung von Rechtssicherheit, faire Abgaben und Netzentgelte, Stärkung der Marktakteure und Überwindung von technischen Barrieren. Inhalte sind u.a. Zertifizierung von erneuerbarem H2, Systemdienlichkeit von Elektrolyseanlagen, Begünstigungen für erneuerbares Gas, höhere Beimischungen (derzeit 4 Prozent im Erdgasnetz), H2-Tauglichkeit von Erdgasleitungen und H2-Beständigkeit von heutigen Endgeräten.

P2G – Technologien und Wirkungsketten

DI Rupert Christian, Umwelt Management Austria, referierte zum Thema „P2G – Technologien und Wirkungsketten“.
Heute wird H2 hauptsächlich aus Erdöl gewonnen, gefolgt von Erdgas, Kohle und Wasser. H2 wird derzeit verwendet als Reduktionsmittel, beim Betrieb von Analysatoren (Trägergas, Brenngas), als Energieträger in Brennstoffzellen, bei der Produktion von Düngemitteln, als Trägergas für Reduktionskomponenten, …. In einer dekarbonisierten Welt muss „erneuerbarer“ H2 den derzeit eingesetzten „fossilen“ ersetzen.
Aus H2 können Methan und auch weitere synthetische Kohlenwasserstoffe produziert werden. Der Referent informierte über die Arten der Elektrolyseure (alkalische, saure bzw. PEM, Festoxid), über deren Technik, Wirkungsgrade und Forschungsbedarf.
H2 muss nach der Gewinnung gespeichert werden. Gängige Methoden sind Verdichtung (Druckwasserstoffspeicherung bei bis zu max. 1.200 bar, geringe volumetrische Energiedichte), Verflüssigung (Flüssigwasserstoffspeicherung bei -253°C, höhere volumetrische Energiedichte) und Hybridspeicherung (oberhalb des kritischen Punktes – keine Druckverflüssigung möglich, höchste volumetrische Energiedichte). Große Herausforderungen stellen alle Speicherarten an die eingesetzten Materialien, wobei im Rahmen der Hybridspeicherung die Ansprüche ebenfalls „kombiniert“ werden.
H2 muss auch transportiert werden. Der Transport kann in Druckflaschen erfolgen, die derzeit aber sehr hohes Eigengewicht haben. Meist ist daher der Transport von flüssigem H2 wirtschaftlicher. Durch Verdampfung und den resultierenden Druckanstieg im Tank ist die Reichweite solcher Transporte allerdings mit rund 4.000 km begrenzt.
Synthetisches Methan kann technisch-katalytisch oder biologisch hergestellt werden. Auch hier haben die Technologien Vor- und Nachteile. Der Wirkungsgrad des biologischen Verfahrens ist niedriger als bei der technisch-katalytischen Variante.
Vergleicht man im Bereich des motorisierten Individualverkehrs (MIV) die Gesamtwirkungsgrade – also vom bereitgestellten (erneuerbaren) Strom bis hin zu den mechanischen Verlusten, so zeigt sich, dass das Elektroauto mit 69 Prozent an erster Stelle liegt. Bereits der Brennstoffzellen-PKW erreicht nur noch 26 Prozent. Setzt man synthetischen Kraftstoff im Verbrennungsmotor ein, sinkt der Gesamtwirkungsgrad gar auf 13 Prozent.
Für einen ähnlichen Vergleich im Bereich der Raumwärme zieht der Referent die Wärmepumpe, eine Brennstoffzellenheizung und einen Gasbrennwertkessel – betrieben mit synthetischem Gas – heran. Selbst eine eher schlechte Wärmepumpe mit einer Jahresarbeitszahl von 3 liegt hier mit einem „Gesamtwirkungsgrad“ von 285 Prozent ganz deutlich voran. Der Gasbrennwertkessel kommt auf 50 Prozent, die Brennstoffzellenheizung bei Betrachtung von Strom und Wärme auf 45 Prozent, bei Betrachtung nur der Wärme auf 24 Prozent.
Anhand solcher Beispiele und Überlegungen muss man entscheiden, wo man H2 tatsächlich einsetzen will und wo es bessere Optionen gibt.

Wasserstoff. Religion oder Unsinn?“

Florian Maringer, Geschäftsführer, Dachverband Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ), referierte zum Thema „Wasserstoff. Religion oder Unsinn?“.
Der Referent sprach generell über die Sinnhaftigkeit einzelner Technologien im Rahmen der Energiewende, ohne einzelnen Projekten regionale „Nischenfunktionen“ abzusprechen.
Weltweit werden 99 Prozent des H2 fossil erzeugt. Man bräuchte ein Drittel der weltweiten Stromproduktion für den H2-Ersatz. „Wir müssen uns fragen, wo wir H2 als Energieträger einsetzen wollen, um keinen unsinnig hohen Energieverbrauch zu verursachen den wir mit passenderen Technologien decken können. In Österreich ist noch nicht angekommen wie viel Energie in die Produktion von H2 fließen muss.“
Mit Power-to-Gas kann Energie über eine längere Zeit gespeichert werden. Stromüberschüsse wird es aber nach Meinung des EEÖ vorerst nicht geben. „Wenn man H2 oder Power-to-Gas nutzen will, dann muss man dies strategisch entwickeln. Bis deutlich nach 2030 wird man kein Power-to-Gas benötigen.“
Die Frage ist, was – im Gesamtsystem – sinnvoll und effizient ist. Nach Meinung von Maringer braucht es Gesamtbetrachtungen und strategische Entwicklungen von ausgewählten Bereichen. Der Referent betonte, dass Energie effizient eingesetzt werden muss.
Saisonale Speicher müssen entwickelt werden. Die Elektromobilität bei PKW ist wesentlich weiter entwickelt als H2, Elektroautos sind effizienter. Allerdings können im Schwerlastverkehr H2-Fahrzeuge durchaus sinnvoll sein. Ebenso sollte H2 in der energieintensiven Industrie (Chemie, Eisenreduktion) als Energieträger und Prozessgas eingesetzt werden.
Bei Hypes muss man immer hinterfragen, wer dahintersteht. Bei der Wasserstoffinitiative ist dies eine gewaltige Industrie, darunter auch Unternehmen der fossilen Wirtschaft die sich hier ihr Überleben absichern wollen. Dies muss man im Hinterkopf haben, ermahnte Maringer. Industrie- und Forschungsinteressen überdecken derzeit sinnvolle Langfriststrategien und die Identifizierung sinnvoller Rollen im Energiesystem.
Nach Meinung des EEÖ sind 100 Prozent erneuerbare Energien und die Dekarboniserung möglich. Das Paris-Agreement ist das „Überziel“. Technologien sollten dafür entwickelt werden. Größte Anstrengungen sind auf Ebene der EU notwendig. Es braucht Rahmenbedingungen für den Einsatz von H2.
Maringer sprach sich abschließend für die Ökologisierung der Steuern aus.

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