Kläranlagen im Verbundsystem

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Kläranlagen können gemeinsam mehr

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Die klassische aerobe Abwasserreinigung hat Flüsse und Seen sauberer gemacht. Doch moderne Kläranlagen können mehr: Wer neue Verfahren zur Abwasserreinigung geschickt mit Düngerproduktion, Energiegewinnung und -vermarktung verknüpft, nutzt nicht nur die Ressourcen optimal, sondern verbessert auch die Wirtschaftlichkeit.

TEXT: DI CHRISTOPH BRUNNER

Kläranlagen mit aerober Wasserreinigung haben sich über die Jahrzehnte bewährt. Ihnen ist es zu verdanken, dass unsere Flüsse und Seen heute auch in Ballungsräumen relativ sauber sind. Doch seit diese Technologie in den 1970er und 1980er Jahren entwickelt wurde, ist nicht nur viel Wasser die Flüsse heruntergeflossen – auch die Technik und die Anforderungen haben sich weiterentwickelt.
Bildlich gesprochen heißt kommunale Abwasserreinigung heute vor allem: Luft in das Abwasser blasen, damit Bakterien die Nährstoffe aus den Fäkalien abbauen können. Vor allem zersetzen sie Kohlenstoff- und Stickstoff-Verbindungen. Doch betrachtet man Stoff- und Energieflüsse, ist der Prozess längst nicht so ideal: Die Belüftung des zu klärenden Abwassers braucht eine Menge elektrische Energie. Österreichische Kommunen wenden dafür etwa 20 Prozent ihres gesamten Energiebedarfs auf – rund 40 Kilowattstunden pro Einwohner und Jahr. Und die Verbindungen, die von den Bakterien zersetzt werden, sind andernorts begehrt: Ammonium (NH4) ist der weltweit wichtigste Dünger für die Landwirtschaft. Um ihn zu produzieren, setzen Industriebetriebe ein bis zwei Prozent des gesamten weltweiten Energiebedarfs ein. Phosphor ist ebenso wie Stickstoff ein Pflanzennährstoff, der als Düngemittel verwendet wird. Im Überschuss kann er aber auch zur Eutrophierung von Gewässern beitragen. Die Kombination moderner Verfahren hilft, Ressourcen effizienter zu nutzen: Stickstoff und Phosphor werden als Wertstoffe zurückgewonnen. Der Kohlenstoff wird für die Energiegewinnung genutzt. Und die Kläranlage kann unterm Strich sogar zum Energieerzeuger und -speicher für das Strom- und Wärmenetz werden. Je nach Abwasser kann durch die Kombination mehrerer Technologien der Strombedarf um zehn bis 20 Prozent sinken, während zugleich die Biogas-Ausbeute um 20 bis 30 Prozent steigt.

1. Stickstoff-Rückgewinnung

Um Ammonium-Phosphat aus dem Abwasser als Dünger zurückzugewinnen, stehen mehrere Verfahren zur Verfügung, wie zum Beispiel die Membran-Destillation, Stripping oder die Fällung von Magnesium-Ammonium-Phosphat (MAP-Fällung). Bei letzterer wird zunächst Magnesiumsalz dem Faulschlamm zugefügt, dann der pH-Wert durch das Einblasen von Luft und das Ausstrippen von CO2 angehoben. So kommt es zu einer Ausfällung von Magnesiumammoniumphosphat, auch als Struvit bekannt, ein gut pflanzenverfügbarer Dünger. Bei einer mittelgroßen Kläranlage für circa 40.000 Einwohner kann auf diese Art circa 50 Kilogramm Ammonium-Phosphat täglich gewonnen werden. Eine weitere Möglichkeit, Ammonium mit geringem Energieeinsatz zurückzugewinnen, ist die Membran-Destillation. Dafür kann Niedertemperatur-Abwärme mit 30 bis 80 Grad Celsius aus dem Abwasser eingesetzt werden. Diese Ammonium-Rückgewinnung wirkt sich in doppelter Hinsicht positiv auf die Energiebilanz aus, denn im klassischen aeroben Verfahren wird das Ammonium zuerst von Bakterien zu Nitrat oxidiert. Dafür wird Sauerstoff benötigt. Hat man bereits zuvor einen Teil des Ammoniums entfernt, braucht man weniger Sauerstoff – und spart circa vier bis sieben Prozent der Belüftungsenergie. Im konventionellen Prozess wird das Nitrat im Anschluss von anderen Bakterien gemeinsam mit Kohlenstoff-Verbindungen verstoffwechselt. Muss weniger Nitrat abgebaut werden, kann man diesen Prozessschritt minimieren – und die Kohlenstoff-Verbindungen stattdessen für die Gewinnung von Biogas nutzen, was zu circa drei bis sechs Prozent mehr Ertrag führt.

2. Mehr Energie produzieren

Sehr viele Kläranlagen nutzen bereits Klärgas oder Biogas in Blockheizkraftwerken, um Strom und Wärme für den eigenen Bedarf zu erzeugen. Doch die Energieerzeugung ist oft noch ausbaufähig. Dafür gibt es viele Ansätze, die für unterschiedliche Anlagen verschieden gut passen. Steht genug Platz zu Verfügung, kann zum Beispiel schon im Vorklärbecken durch längere Verweilzeiten mehr kohlenstoffhaltiger Schlamm abgetrennt werden. Bei wenig Platz ist ein Mikrosieb mit Trommelfilter eine Alternative. Ergänzend kann Flotation genutzt werden: Durch das Einblasen von Luft kommen kleine Partikel an die Oberfläche und können abgetrennt werden. Wie die Ammonium-Rückgewinnung die Energieausbeute erhöht, ist bereits oben beschrieben. Auch der Einsatz von Co-Substraten im Faulbehälter (zum Beispiel Bio-Abfälle oder Abfälle aus Großküchen) kann den Biogas-Ertrag erhöhen.

3. Die zusätzliche Energie gewinnbringend nutzen

Gerade im Sommer, wenn die Faulbehälter nicht oder kaum beheizt werden müssen, steht in Kläranlagen nach heutigem Stand bereits oft mehr Energie zur Verfügung, als gebraucht wird. Anders sieht es aus, wenn man zum Beispiel mit einer Klärschlammtrocknung das Gewicht und die Entsorgungskosten für den Schlamm reduziert. Immer häufiger werden Kläranlagen auch durch eine zusätzliche Reinigungsstufe für Mikroverunreinigungen ergänzt. Diese benötigt zusätzliche elektrische Energie.
Ist eine Fernwärme-Versorgung in der Nähe, kann das Biogas sogar umweltfreundliche Energie für viele Haushalte liefern. Dabei ist es meist kostengünstiger, das Gas (gegebenenfalls nach einer einfachen Aufbereitung) zur Heizzentrale zu leiten, als es auf dem Gelände der Kläranlage zu verfeuern und eine Fernwärme-Leitung zu errichten. Wird das Biogas auf Erdgas-Qualität aufbereitet, kann es sogar ins allgemeine Erdgas-Netz eingespeist werden.
Wenn das Biogas verkauft anstatt zur Eigenversorgung genutzt wird, müssen Strom und Wärme für den Eigenbedarf natürlich ersetzt werden. Das kann z. B. über eine elektrisch angetriebene Wärmepumpe geschehen, die Wärme aus dem Abwasser entnimmt. Legt man einen erzielten Gaspreis von vier Cent pro Kilowattstunde und einen Einkaufspreis für den Strom von 13 Cent pro Kilowattstunde zugrunde, kommt im Rechenbeispiel unter Einbeziehung von Investitionen beziehungsweise Abschreibungen, Betriebskosten, entgangenem Nutzen (also den nun anfallenden Kosten für den Einkauf von Strom und Wärme) sowie den Erlösen ein Plus für die Kläranlage heraus.

4. Energie speichern mit Power-to-Gas

Mit einem größeren Anteil von Wind- und Sonnenstrom werden Speichertechnologien immer wichtiger. Eine Möglichkeit ist, bei Erzeugungsspitzen Wind- und Sonnenstrom zur Erzeugung von Gas zu verwenden (Power-to-Gas). Das heißt, zunächst wird mit den Erzeugungsspitzen aus dem Stromnetz Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten (Elektrolyse). Im nächsten Schritt wird aus dem Wasserstoff und CO2 Methan erzeugt (Methanisierung). In Kläranlagen ergeben sich dabei vielerlei Synergieeffekte: Der Sauerstoff aus der Elektrolyse kann für die Belüftung oder – falls vorhanden – eine Ozonierung verwendet werden. Für die Methanisierung kann das CO2 aus dem Biogas oder der Biogas-Aufbereitung genutzt werden. Die bei der Methanisierung entstehende Wärme kann zur Heizung des Faulturmes verwendet werden. Und nicht zuletzt ist in Kläranlagen qualifiziertes Betriebspersonal ohnehin vorhanden – es entstehen also auch hier Synergien.

5. Die beste Lösung für die eigene Kläranlage finden

Die „richtige“ Lösung für die jeweils eigenen Anforderungen zu finden, ist eine komplexe Aufgabe: Welche Stoff- und Energieströme fallen an – und zu welchen Zeiten? Welche Kosten und Zusatzeinnahmen sind zu erwarten? Welche Kooperationen mit Wärme- oder Stromnetzbetreibern sind möglich? Um einen ersten Überblick zu gewinnen, ist das „Decision Support Tool“ (DEST) hilfreich, das im Rahmen des Projekts AR-HES-B entwickelt wurde. Mit Hilfe von realen Input-Daten über den Abwasser-Zulauf und der Auswahl verschiedener Technologien können verschiedene Szenarien erstellt und mit der Ist-Situation verglichen werden. Bilanziert werden die Wertstoffe Kohlenstoff (ausgedrückt als Chemischer Sauerstoff Bedarf CSB), Stickstoff und Phosphor. Auf der energetischen Seite fließen Biogas, Wärme und Strom in die Bewertung ein. In der Auswertung werden ökonomische und ökologische Größen berücksichtigt. Neben Jahreswerten kann auch mit Monatswerten gerechnet werden, um saisonale Schwankungen einzuberechnen.
Eine konkrete Kläranlagen-Erneuerung in einer Kleinstadt ist für das Jahr 2019 geplant. Dabei soll eine neue Biogasanlage ergänzt werden. Das Biogas soll zum Großteil über eine neue Leitung in die Heizzentrale eines nahgelegenen Fernwärme-Netzes transportiert werden, aber auch den Wärmebedarf der Kläranlage decken (circa 250 Kilowatt). Eine Abwasser-Wärmepumpe soll die Wärme für die Beheizung der Biogasanlage liefern. Außerdem sollen die Gebäude der Kläranlage energetisch saniert werden.

Weitere Informationen:
Download des Decision Support Tool (DEST) und
detailliertes Manual unter: ar-hes-b.aee-intec.at

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